Ein Projekt von Dr. med. Dorian Recker und Dipl. Des. Andreas Willems
„Den Medikamenten aus dem Müllsack will ich
eine letzte, künstlerische Ehre erweisen“
Das Interview wurde geführt von Detlef Herchenbach.
Seine Kunst ist für ihn lediglich Mittel zum Zweck:
Interview mit dem Mediziner Dorian Recker über sein Projekt „PharmArt“ mit dem Grafik-Designer Andreas Willems.
Kranke Menschen, Therapien, Rezepte und Medikamente bestimmen seit Jahrzehnten den beruflichen Alltag des
Krefelder Mediziners Dr. Dorian Recker. Seit einigen Jahren ist er zudem künstlerisch tätig, um auf Probleme aufmerksam zu machen, die
sich durch die Produktion und den Umgang mit Medikamenten ergeben.
„PharmArt“ heißt das gemeinsame Projekt mit dem Fotografen und Grafik-Designer Andreas Willems.
Vom 3. bis zum 17. November stellen die beiden neue Werke im Historischen Klärwerk am Rundweg in Uerdingen aus.
Frage: Wie kamen Sie auf die Idee, Kunst aus Pharma-Müll zu machen?
Dorian Recker: An einem Tag im Oktober 2018 hat meine Frau Barbara, die Ärztin und Apothekerin ist, Müllsäcke voller
Medikamente aus der Apotheke mitgebracht. Sie waren alle noch lange haltbar, zum Teil originalverpackt, oft
war nur eine Tablette aus einer 100er-Packung entnommen worden.
Da habe ich mich gefragt: Ist dieser verschwenderische Umgang noch zeitgemäß? Denn Jahr für Jahr landen tonnenweise Medikamente im Wert von
Milliarden Euro im Müll. Und zwar unter anderem, weil sie den Patienten, die Patientin kaum etwas kosten.
Doch mit dem niedrigen Preis sinken Achtung, Respekt, Wertschätzung.
Was passierte dann?
Recker: Diesen weggeworfenen Medikamenten aus dem Müllsack will ich eine letzte, künstlerische Ehre erweisen, so meine Idee.
Mit Material aus dem Baumarkt und Miniaturen aus dem Modellbau habe ich Häuserschluchten en miniature gebastelt. Schnell wurde mir klar, dass
diese Bilder einer weiteren Bearbeitung bedürfen. Es sollten größere Formate werden, um die Miniaturen besser zur Geltung zu bringen.
Daher habe ich meinen Freund Andreas Willems gebeten, die Szenarien zu fotografieren, phototechnisch und künstlerisch zu bearbeiten.
Das war der Anfang von „PharmArt“.
Wie haben sich die Arbeiten im Laufe der Jahre verändert?
Recker: Am Anfang stand für mich die Faszination für die Buntheit und Vielfalt der Tabletten und Kapseln im Vordergrund, die wir in der
Arbeit „Magical Mystery Park“ verarbeitet haben, sowie die Perfektion und Robustheit der Blister, die für mich eine
gewisse Kälte, Sterilität und Anonymität ausstrahlen (Pharma City).
Die weiteren Arbeiten standen im Zeichen der Corona-Pandemie (Corona-Beach, Impfstation) und der Kriege (Friedhof, Schlachtfelder).
Danach haben wir uns der komplexen Problematik der Pharmazie zugewandt: Lieferengpässe, Poly-Pharmazie (Multimedication, One more Year ),
Kosten (Exhibition, Die goldenen 8, Fly fly away), Arzneimittel-Entsorgung (On fire), Multiresistenz, Umweltverschmutzung (Thx India) und
Apotheken-Sterben (In Memoriam). Zuletzt gab es einen Appell: Weg mit den Beipackzetteln (Mountain High)!
Aber nicht nur weggeschmissene Medikamente sind ein Problem…
Recker: Richtig. Die zunehmende Konzentration von Medikamenten im Abwasser werden bei künftig eher niedrigeren Wasserständen
die Umwelt belasten. Klärwerke bieten in den aktuellen zwei- bis dreistufigen Reinigungsverfahren keine chemische Entsorgung von Medikamenten.
Eine vierstufige Reinigung, also plus Ozon und Aktivkohle, gibt es derzeit lediglich in einzelnen Pilotprojekten.
EU- und bundesweit vorgesehen ist dies allerdings erst ab dem Jahr 2035.
Problematisch ist auch die Situation in den Ländern, in denen die meisten pharmazeutischen Produkte hergestellt werden…
Recker: Allerdings. Die nach Asien abgewanderte Pharma-Produktion war bisher günstig. Stichworte: qualifizierte Mitarbeiter mit
niedrigem Lohnniveau und laxe Umweltauflagen. Mittlerweile sind 50% der Wasserreserven in China und Indien nicht mehr trinkbar.
Chemieverseuchte Flüsse führen multiresistente Erreger mit sich, die über den Tourismus auch zu uns gelangen.
Mittlerweile hat China das Wort „Umwelt“ entdeckt, Pharmafirmen werden in Chemieparks konzentriert und besser kontrolliert.
Folglich steigen die Preise für Medikamente - oder deren Herstellung wird eingestellt.
Für mich stellt sich die Frage: Wo bleibt unsere Mitverantwortung?
Dazu passt die schwierige Lage der Apotheken in Deutschland …
Recker: Es gibt ein Apotheken-Sterben, das meines Erachtens politisch gewollt ist. Dies wird in der Öffentlichkeit allerdings
erstaunlich wenig beachtet. Dadurch ergeben sich für mich Fragen. Wie soll unsere Gesundheitsversorgung in
Zukunft aussehen: Medikamente online, über pharmazeutisch technische Assistenten in Apotheken oder werden sie im Drogeriemarkt
ausgehändigt? Ist das wirklich die Entwicklung, die wir wollen - bei einer immer älter werdenden Bevölkerung?
Zurück zu Ihrem Kunst-Projekt. Was ist das Ziel von „PharmArt“?
Recker: Wir wollen sensibilisieren, wollen Respekt und Wertschätzung für das Gut Pharmazie.
Es geht uns um einen achtsamen Umgang mit unseren Ressourcen, um Nachhaltigkeit, um Mut zu Innovationen, zum
Beispiel beim Recycling. Wir könnten auch mit Plakaten auf der Straße stehen oder in die Politik gehen.
Stattdessen haben wir uns für „PharmArt“ entschieden. Das Ziel ist ein Dialog zwischen Bürgern, Fachverbänden, Krankenkassen,
Pharma-Unternehmen und Politik - und zwar ohne Schuldzuweisungen.
Es geht uns darum, neue Wege zu finden und diese gemeinsam zu beschreiten. Genau das wollen wir mit unserer Kunst erreichen.
Und: Wir spenden ein Drittel aus dem Erlös des Verkaufs der Bilder an gemeinnützige Organisationen wie
beispielsweise das Medikamenten-Hilfswerk „action medeor“ in Tönisvorst oder die Krefelder Tafel.
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Zur Person
Dorian Recker wurde 1958 in Milwaukee (Wisconsin, USA) geboren. Medizin studiert hat er in Lyon (Frankreich) und Mainz.
Von 1996 bis 2023 war er selbstständig in einer kardiologischen Praxis in Krefeld tätig.
Künstlerisch inspiriert wurde er durch seinen Vater Peter Recker, der als freischaffender Künstler und Bildhauer in
den USA, in Italien und Deutschland gelebt und gearbeitet hat.
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In seiner beruflichen Arbeit dem Thema Pharmamüll sehr nahekommend, erhält und
sammelt Dorian Recker aus der eigenen Praxis und der Apotheke Blisterverpackungen und
lose Tabletten – in den seltensten Fällen sind die Medikamente abgelaufen.
Mit diesem Material, das er durch Baumaterialien ergänzt, beginnt er zu bauen. Und schon
wieder kommt der Begriff der schönen neuen Welt in den Sinn: Recker entwirft leuchtend
bunte Blumenwiesen, Strände mit Surfern, eine goldene Plattform im All, einen
neuempfundene romantischen „Wanderer über dem Blistermeer“ in Anlehnung an
„Pharma-City“, ein trostloses Häusermeer, den Friedhof oder die leblose Impfstation,
auch die vermeintlich bunten Szenarien verwandeln sich auf den zweiten Blick
zu düsteren Aussichten.
siedeln sich Erkenntnisse an über Verschwendung, über Tablettennutzung und
Tablettenmissbrauch, über unseren Umgang mit Ressourcen jeglicher Art.
So ist das mit der Kunst: sie lässt sehen und erkennen. In jeder Hinsicht.
ähnlichen Aufgaben verschrieben haben (Food sharing, SIRPLUS, action medeor).
In Kooperation mit
Ausstellungen & Events
Sie möchten unsere Bilder in Ihrer Praxis, Krankenhaus oder anderen Räumlichkeiten ausstellen?
Sehr gerne!
Schreiben Sie uns einfach eine E-Mail, wir melden uns.
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Im Rahmen der Ausstellung im Historischen Klärwerk Krefeld-Uerdingen
rufen wir zu einer Fahndung auf.
03.-17. November 2024
AUSSTELLUNG
PHARMART aus Pharmamüll by DRAW
im Historischen Klärwerk Krefeld-Uerdingen
Rundweg 20 · 47829 Krefeld
Vernissage 03. Nov. 2024 · um 11 Uhr
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Mai 2009
Fotoausstellung
"Stadtbad Neusser Straße in Krefeld"
Außergewöhnliche Ansichten der historischen Badeanstalt
Andreas Willems
Kulisse (Fabrik Heeder) · Krefeld
Februar 2011
Fotoausstellung
"Stadtbad Neusser Straße in Krefeld"
Andreas Willems
Kardiopraxis Niederrhein · Krefeld
20. März 2016
Fotoausstellung
"Glück in Krefeld"
Ein Projekt von Sylvia Paschold im Rahmen des "Krefelder Perspektivwechsel"
Fotos: Andreas Willems
Mies van der Rohe Businesspark
2017
Sparkasse Krefeld · Ostwall
Mai 2019
Ausstellung
"REISELUST – Vom Niederrhein in die Welt"
Gemälde von Manfred Riedel · Fotografien von Andreas Willems
MERCURE · Tagungs- & Landhotel Krefeld
März 2020
PHARMART aus Pharmamüll by DRAW
Dr. Dorian Recker & Andreas Willems
Kardiopraxis Niederrhein · Krefeld
März 2022
MERCURE · Tagungs- & Landhotel Krefeld (Dauerausstellung mit wechselnden Bildern)
Oktober 2022
Schau Raum · Rhein KM 765 · Krefeld-Uerdingen
Januar/März 2024 (22. Januar bis 01. März)
PHARMART aus Pharmamüll by DRAW
Bezirksbibliothek Rheinhausen (Duisburg)
Händelstraße 6 · 47226 Duisburg
12.-13. April 2024
INTERPHARM MANNHEIM
Plakataktion auf dem Stand der
PHARMACISTS FOR FUTURE